Medizinregulierung im Drittland Schweiz
Seit dem 26. Mai 2021 ist in der Schweiz die neue Medizinprodukteverordnung (MepV) in Kraft getreten. Ende Juli 2022 sind die letzten Übergangsfristen abgelaufen, welche auf die Verfügbarkeit von Medizinprodukten in der Schweiz grossen Einfluss haben. Dieses wichtige Thema betrifft die ganze Medizinbranche und darunter fällt auch die Podologie.
Hierzu konnten wir zusammen mit unseren Kollegen von der Zahnzeitung ein Interview führen und der Inhalt kann auch auf die podologische Praxis abgeleitet werden. Als Gesprächspartner konnten wir neben den zwei Rechtsanwälten auch Dr. Daniel Delfosse, Leiter Regulation & Innovation bei Swiss Medtech gewinnen. Und wir haben auch wertvolle Auskünfte von der Swissmedic bekommen.
ZZS: Melde- und Registrierungspflichten, die Pflicht des Herstellers zur Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten und die Angabe des schweizerischen Importeurs zu jedem Produkt sind Themen, die seit dem 26. Mai 2021 zur Pflicht geworden sind. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation am Markt ein?
Dr. Delfosse: Der 26. Mai 2021 war ein wichtiges Datum für die Medizintechnikbranche: Die neue europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) löste die alte Medizinprodukterichtlinie (MDD) ab. Der Schweizer Bundesrat brach (zufälligerweise am gleichen Tag) die Verhandlungen mit der Europäischen Union über das Institutionelle Abkommen (InstA) ab, so dass eine Anpassung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung (Mutual recognition agreement, MRA) für den freien bilateralen Handel mit Medizinprodukten verunmöglicht wurde. Als Folge davon wurde die Schweiz für die Medizintechnik auf den Status eines Drittstaates zur EU zurückgestuft. Damit wurden sowohl für den Import wie auch den Export von Medizinprodukten hohe Hürden gestellt. Aber trotz dieser neuen Hürden muss und wird der Handel zwischen der Schweiz und der EU weitergehen.
RA Matthias Stauffacher: Die neue Regulierung umfasst sämtliche Medizinprodukte. Dabei handelt es sich um ein sehr breites Spektrum von Produkten, zu welchen nicht nur Brustimplantate oder Prothesen gehören, sondern auch Druckverbände, Gehhilfen, Zahnspangen oder Brillengestelle. Obwohl das Risikopotential von Medizinprodukten ganz unterschiedlich ist, gelten für die Einfuhr und den Handel weitgehend dieselben Pflichten. So müssen beispielsweise auch ausländische Hersteller von Brillengestellen oder Zahnspangen einen Bevollmächtigten ernennen, wenn sie die Produkte in der Schweiz vermarkten möchten. Auf der anderen Seite gibt es Händler von Medizinprodukten in der Schweiz, die ein breites Sortiment von Produkten anbieten. Diese müssen nun bei sämtlichen Produkten kontrollieren, ob ein Bevollmächtigter ernannt wurde und die Produkte mit dessen Namen und Anschrift gekennzeichnet ist. Kurz: die neue Regulierung stellt insbesondere Händler und Importeure vor grosse Herausforderung. Unterlassen sie die gebotenen Kontrollen, machen sie sich allenfalls strafbar.
Swissmedic: Mehr als 2000 Akteure haben sich bereits registriert, darunter Importeure und Bevollmächtigte, die ausländische Hersteller vertreten bzw. diese gemeldet haben. Wir publizieren diese Liste der Akteure auf unserer Website. Die Liste wird regelmässig aktualisiert. Die Übergangsfristen für Medizinprodukte der Risikoklassen III, IIb, IIa sind bereits abgelaufen. Für die Klasse I Produkte, die den grössten Teil ausmachen, gibt es eine Frist bis Ende Juli 2022. Aufgrund der Nichtaktualisierung des MRA erhielten wir rund 3500 Anfragen. Viele davon bezogen sich auf das Inverkehrbringen und die Bereitstellung auf dem Markt.
ZZS: Waren die Schweizer Importeure auf die Situation ausreichend vorbereitet?
Dr. Delfosse: Nein, das war auch nicht möglich, weil die MepV erst am 19.05.2021, also sieben Tage vor Inkrafttreten, publiziert wurde. Und noch weniger gut waren die ausländischen Hersteller vorbereitet, die erst später durch die Schweizer Händler informiert wurden.
RA Dr. Christoph Willi: Viele wurden vom Abbruch der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU auf dem falschen Fuss erwischt. Doch was ist geschehen? Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat die Verhandlungen über den Rahmenvertrag mit der EU abgebrochen. Als Folge des Verhandlungsabbruches hat die EU-Kommission erklärt, dass die Schweiz nicht mehr länger als gleichberechtigter Partner am europäischen Binnenmarkt für Medizinprodukte teilnehmen könne. Dies hat dazu geführt, dass die Schweiz gegenüber der EU nun als Drittland gilt (ähnlich wie die USA oder China). Damit wurden aber auch die Importe aus der EU in die Schweiz erschwert. Neu dürfen Medizinprodukte aus der EU nur noch importiert werden, wenn der Hersteller einen Bevollmächtigten in der Schweiz ernannt hat und weitere regulatorische Anforderungen erfüllt werden. Dieser administrative Mehraufwand lässt Befürchtungen entstehen, dass viele Produkte in der Schweiz nicht mehr erhältlich sein werden.
ZZS: Wie hat sich die Situation im Laufe des Jahres entwickelt?
Swissmedic: Wegen noch laufender Übergangsfristen ist eine Beurteilung aus Sicht Vollzug nicht möglich. Aufgrund der vielen Anfragen vermuten wir, dass noch viele Fragen offen waren. Der BR-Entscheid, die InstA-Verhandlungen abzubrechen, kam für Akteure und Swissmedic kurzfristig. Bis zum BR-Entscheid über ergänzende Massnahmen am 19. Mai 2021 (eine Woche vor Inkrafttreten der neuen Regulierung) konnten die Rechtstexte nicht veröffentlicht und damit die Akteure nicht vorzeitig informiert werden. Swissmedic hat per 26. Mai 2021 alle unmittelbar benötigten Informationen zur Verfügung gestellt. Anschliessend haben wir laufend ergänzende Wegleitungen und FAQ publiziert. Am 2. September 2021 führten wir online eine Infoveranstaltung mit mehr als 1600 Teilnehmenden durch. Der nächste Anlass findet am 3. November 2022 statt und ist der neuen Regulierung für In-vitro-Diagnostika gewidmet.
Dr. Delfosse: Swiss Medtech hat als Verband alle Hebel in Bewegung gesetzt, um alle Wirtschaftsakteure umgehend über die neuen, erhöhten Anforderungen für den Import von Medizinprodukten zu informieren. Dazu haben wir 20 spezifische Webinare zum Thema «Schweiz als Drittstaat» organisiert, womit wir über 2000 Personen informieren konnten. Durch Auftritte bei 50 externen Veranstaltungen wurden weitere 3000 Personen erreicht. Und zusätzlich hat der Verband über 1000 Fragen der Mitglieder zum Thema schriftlich beantwortet. Heute sollte also jeder Schweizer Wirtschaftsakteur im Bilde sein.
RA Matthias Stauffacher: Viele Markteilnehmende haben begonnen, sich mit den neuen Pflichten auseinanderzusetzen. Es bestehen aber grosse Unterschiede: Hersteller von komplexen Medizinprodukten konnten sich besser den neuen Regelungen anpassen. Anders beispielsweise die Hersteller von alltäglichen Medizinprodukten. Nehmen wir das Beispiel von Zahnspangen, die in Zahntechnischen Laboren hergestellt werden. Vor grossen Herausforderungen stehen auch Händler, die nun bei sämtlichen von ihnen vertriebenen Produkten klären müssen, ob diese die gesetzlichen Anforderungen für den Vertrieb in der Schweiz weiterhin erfüllen.
ZZS: Welche Übergangsfristen laufen wann aus?
Dr. Delfosse: Die Übergangsfrist zur Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten (CH-REP) für implantierbare Produkte und Produkte der Klasse III ist am 31.12.2021 abgelaufen, die für Klasse IIa und IIb (nicht implantierbare Produkte) am 31.03.2022. Am 31.07.2022 läuft die Frist auch für Klasse I ab. Und im nächsten Jahr wiederholt sich dasselbe Szenario für die In-vitro Diagnostik-Produkte.
RA Dr. Christoph Willi: Ausländische Medizinprodukte dürfen in der Schweiz nur noch vertrieben werden, wenn ein Bevollmächtigter vorhanden ist und die Produkte bzw. Verpackung oder Begleitpapiere mit dessen Namen und Anschrift gekennzeichnet sind. Für die Erfüllung dieser Pflichten bestehen unterschiedliche Fristen, abgestuft nach Risikopotential, wie es Herr Delfosse schon ausgeführt hat. Für Zahnärzte aber auch für Zahnlabore sowie Lieferanten von weiterem Bedarf für Zahnarztpraxen dürfte vor allem die Frist vom 31. Juli 2022 relevant sein. Denn ab dann muss für sämtliche Medizinprodukte, welche in die Schweiz importiert werden, ein Bevollmächtigter in der Schweiz benannt werden.
ZZS: Was denken Sie, ist es den Herstellern in der EU, USA etc. bewusst, welche Konsequenzen die MepV auch für deren Schweizer Geschäft hat?
Swissmedic: Vielen Akteuren ist das bewusst. Sowohl grosse internationale Verbände als auch Wirtschaftskammern sind mit uns diesbezüglich in Kontakt getreten. Für den Import in die Schweiz hat Swissmedic mit mehreren ausländischen Handelskammern gesprochen und Referate gehalten, damit diese die neuen Bestimmungen für den Export in die Schweiz kennen. Auch die Medtech Verbände haben wichtige Aufklärungsarbeit geleistet.
Dr. Delfosse: Ja, inzwischen ist das bei den rund 5000 ausländischen Herstellern, die die Schweiz beliefern, angekommen. Und ein Grossteil davon – aber sicherlich nicht alle – wird uns auch weiterhin beliefern.
RA Matthias Stauffacher: Das sehen wir etwas anders. Gerade viele Unternehmen aus den USA oder aus Asien können die hohen administrativen Hürden, welche die MepV für den Schweizer Markt gebracht hat, nicht nachvollziehen. Da die Schweiz die Regelung der EU vollständig übernommen hat, sind die Hürden für den Import in die EU und in die Schweiz dieselben. Das bedeutet, dass auch in etwa die gleichen Kosten für die Ernennung eines Bevollmächtigten oder die Verhandlung von entsprechenden Verträgen entstehen. Der grosse Unterschied besteht aber darin, dass in der EU ein Markt von 450 Millionen, in der Schweiz von 8.8 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten besteht. Viele aussereuropäische Unternehmen überlegen sich deshalb, ob sie ihre Produkte auf den Schweizer Markt bringen wollen.
ZZS: Stichwort Konformitätserklärung. Wofür wird diese benötigt und wer darf sie ausstellen?
RA Dr. Christoph Willi: Mit der Konformitätserklärung bringt der Hersteller zum Ausdruck, dass das Produkt die gesetzlichen Anforderungen erfüllt, das Produkt also «konform» ist. Ob die Anforderungen erfüllt sind, hat der Hersteller in einem Konformitätsbewertungsverfahren zu prüfen. Die Konformitätserklärung ist für die Kunden des Herstellers wichtig. Sie dürfen darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Anforderungen eingehalten sind. Dies gilt natürlich nur, insoweit als die Konformitätserklärung authentisch und nicht gefälscht ist.
Bei Produkten der Klasse II oder höher, muss das Konformitätsbewertungsverfahren zudem durch eine benannte Stelle geprüft werden. In der Schweiz kann dies durch die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) erfolgen. Die Schweiz anerkennt zudem auch weiterhin die europäischen benannten Stellen, so das Schweizer Hersteller sich für eine Prüfung auch an eine europäische Stelle wenden können.
Swissmedic: Der Hersteller erstellt eine Konformitätserklärung, wenn bei den anzuwendenden Konformitätsbewertungsverfahren nachgewiesen wurde, dass die Anforderungen erfüllt sind. Mit der Konformitätserklärung übernimmt der Hersteller die Verantwortung, dass das Produkt den Anforderungen der Verordnung und den geltenden Rechtsvorschriften entspricht. Wir verweisen diesbezüglich auf die Medizinprodukteverordnung (MepV) und die IvDV.
ZZS: Welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich, wenn ohne einen vom Hersteller benannten Schweizer Bevollmächtigten Medizin-Produkte in die Schweiz eingeführt werden?
RA Matthias Stauffacher: Wenn ein ausländischer Hersteller keinen Bevollmächtigten für seine Produkte in der Schweiz ernannt hat, dann dürfen diese Produkte in der Schweiz nicht verkauft werden. Wer Medizinprodukte aus dem Ausland in die Schweiz importiert oder damit Handel treibt, hat zu prüfen, ob ein Bevollmächtigter vorhanden ist. Verkaufen sie ein Produkt, ohne dass ein Bevollmächtigter vorhanden ist, können sie sich strafbar machen. Auch die Anwender von Medizinprodukten unterliegen entsprechenden Pflichten, namentlich auch Zahnärzte oder die Betreiber von Zahnlaboren. Als Konsequenz vom Verkauf oder der Anwendung von nicht-gesetzmässigen Medizinprodukten kann eine Gefängnis- oder Geldstrafe drohen. Praktisch bedeutsamer als die eigentlichen Sanktionen ist aber zumeist der Aufwand an Zeit und Geld, um sich in einem Verfahren zu verteidigen. Auch der Reputationsschaden ist zu bedenken.
Swissmedic: Wer Medizinprodukte importiert, muss die Anforderungen gemäss Art. 53 der MepV erfüllen. Rechtliche Konsequenzen können nicht pauschal benannt werden. Bei einer Verdachtsmeldung werden mit einem Verwaltungsmassnahmenverfahren notwendige Massnahmen definiert. Diese können auch ein Vertriebsverbot oder einen Marktrückruf umfassen. Swissmedic weist insbesondere Fachpersonen und Gesundheitseinrichtungen, die Produkte ohne CH-Bevollmächtigten aus dem Ausland einführen und direkt anwenden, darauf hin, dass diese Produkte allenfalls von der haftungsrechtlichen Bestimmung gemäss Art. 47d HMG nicht abgedeckt sind und kein CH-Wirtschaftsakteur zuständig ist für formelle und sicherheitsrelevante Belange.
ZZS: Welche medizinischen Konsequenzen können bei solchen «illegalen» Importen kurz- und langfristig drohen?
Swissmedic: Auch diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden, sie muss fallbezogen geprüft werden. Jede Person, die mit Medizinprodukten umgeht, ist der Sorgfaltspflicht unterstellt und muss dabei alle Massnahmen treffen, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, damit die Gesundheit nicht gefährdet wird. Der Importeur hat wichtige Pflichten nach Art. 53 MepV (z. B. Konformität und Meldepflichten) zu erfüllen. Falls der Zahnarzt ein Produkt aus dem Ausland (ohne es in Verkehr zu bringen) direkt anwendet, übernimmt er für die Konformität des Produkts die Verantwortung (Art. 70, Abs. 1 MepV). Fachpersonen und Gesundheitseinrichtungen sollten in der Regel Produkte eines Schweizer Herstellers oder mit einem entsprechend verantwortlichen Schweizer Bevollmächtigten beschaffen und nur in begründeten Ausnahmefällen Produkte ohne Schweizer Bevollmächtigten aus dem Ausland direkt anwenden.
ZZS: Welche Möglichkeiten haben Schweizer Bevollmächtigte sich vor der vollumfänglichen Haftung im Schadensfall abzusichern?
Dr. Delfosse: Die Schweizer Bevollmächtigten haften nicht vollumfänglich, sondern solidarisch mit dem (ausländischen) Hersteller. D. h. der Hersteller ist in jedem Fall für die Sicherheit des Produktes verantwortlich und wird auch für die Produktehaftpflicht aufkommen müssen. Der Bevollmächtigte käme nur dann zum Zug, wenn der Hersteller zahlungsunfähig ist (z. B. durch Aufgabe oder Konkurs der Firma).
Swissmedic: Der Schweizer Bevollmächtigte haftet gegenüber einer durch fehlerhafte Medizinprodukte geschädigten Person solidarisch mit dem Hersteller. Das Mandat wird zwischen Hersteller und Schweizer Bevollmächtigtem schriftlich vereinbart. Die bevollmächtigte Person muss über eine ausreichende finanzielle Deckung für Schäden verfügen (Art. 47d HMG). Wichtig ist auch, dass schwerwiegende Vorkommnisse Swissmedic gemeldet werden.
RA Matthias Stauffacher: Das ist die Gretchenfrage. Der Bevollmächtigte haftet gemäss Gesetz solidarisch mit dem Hersteller. Das bedeutet, dass der ausländische Hersteller zwar haftbar ist, in der Schweiz wohnende PatientInnen sich aber lieber an den Schweizer Bevollmächtigten halten werden, um Ansprüche geltend zu machen. Welcher Patient will schon gegen einen Hersteller im Ausland klagen? Es ist also der Bevollmächtigte, der primär verantwortlich gemacht wird. Dieses Haftungsrisiko kann der Bevollmächtigte vertraglich auf den Hersteller überbinden. Dazu wird im Vertrag zwischen dem Hersteller und dem Bevollmächtigten eine Regelung festgelegt, dass der Hersteller solche Haftungsrisiken übernehmen muss. Schwierig wird es, wenn der Hersteller im Ausland Konkurs anmeldet oder insolvent ist. Der Bevollmächtigte hat dann das Risiko, dass er auf den Kosten des Haftungsfalles sitzen bleibt. Wir raten Bevollmächtigten deshalb, diese Risiken zu versichern.
ZZS: Welches Risiko geht ein Schweizer Bevollmächtigter ein?
Swissmedic: Der Schweizer Bevollmächtigt hat diverse Pflichten und ist zentrale Ansprechperson für die Behörden. Die Verletzung seiner Verpflichtungen kann verwaltungsrechtliche oder in definierten Fällen auch strafrechtliche Konsequenzen haben.
RA Dr. Christoph Willi: Das grösste Risiko besteht darin, dass der Bevollmächtigte per Gesetz für die Produkte haftet, für welche er als Bevollmächtigter eingetragen ist. Der Bevollmächtigte sollte deshalb vor Übernahme eines Mandats eine sorgfältige Due Diligence durchführen und prüfen, welche Risiken mit einem Produkt verbunden sind. Hilfreich ist, wenn der Bevollmächtigte schon Erfahrungen hat mit dem Produkt und beispielsweise eine langjährige Beziehung zum Hersteller besteht. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, wie der Bevollmächtigte das Risiko eines Schadensfalls absichern kann. In unserer Beratung haben wir festgestellt, dass viele Versicherungen die Haftung des Bevollmächtigten nicht versichern oder in ihren Versicherungsbedingungen ausgeschlossen haben.
ZZS: Schweizer Importeure sind entsprechend der gesetzlichen Vorgaben der neuen MepV dazu verpflichtet, alle Medizinprodukte umzuetikettieren. Dürfen sie diese Umetikettierung selbst vornehmen, wenn der im Ausland ansässige Hersteller dies ablehnt?
Dr. Delfosse: Ja, das Produkt muss nicht schon beim Import, sondern erst bei der Auslieferung an den Schweizer Kunden regelkonform gelabelt sein.
Swissmedic: Wer Medizinprodukte importiert, muss immer die Anforderungen gemäss Art. 53 MepV erfüllen. Der Importeur kann seine Anschrift auch auf dem beiliegenden Dokument angeben, damit würde keine neue Etikettierung stattfinden.
RA Matthias Stauffacher: Wir empfehlen, die Etikettierung im Vertrag zwischen Hersteller und Importeur zu regeln, um einen Konflikt zu vermeiden. Hierbei ist es sicher sinnvoll, dass der Hersteller die Produkte bereits korrekt beschriftet. Falls keine vertragliche Regelung besteht, ist der Importeur verpflichtet, die Etikettierung vorzunehmen, auch gegen den Willen des Herstellers.
ZZS: Welche (negativen) Auswirkungen haben die Neuregelungen aktuell auf Praxen und Labors?
Swissmedic: Konkrete Handlungsanweisungen finden Praxen und Labore im Merkblatt für die «Beschaffung von Medizinprodukten in Gesundheitseinrichtungen» und im Merkblatt «Pflichten Wirtschaftsakteure CH» vom 30.12.2021 auf unserer Homepage.
RA Dr. Christoph Willi: Labore und Praxen müssen prüfen, ob die von ihnen verwendeten Produkte mit den gesetzlichen Bestimmungen konform sind. Zudem stehen sie vor der Herausforderung, dass sie bei verschiedenen Produkten als Hersteller gelten, wie bereits letztes Mal im Beispiel der Zahnspange erwähnt. Dann müssen die entsprechenden gesetzlichen Pflichten erfüllt werden.
ZZS: Wie hat die MepV die Sicherheit von Medizinprodukten in der Schweiz bisher beeinflusst?
Dr. Delfosse: Hoffentlich noch gar nicht… Die positiven Effekte durch die höhere klinische Evidenz (Anforderung gemäss MDR) werden erst in den nächsten Jahren zu tragen kommen. Die negativen Effekte durch fehlende Produkte treten seit April 2022 und zum Glück nur vereinzelt auf.
Swissmedic: Die Ziele der neuen Regulierung sind Verbesserung der Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten und mehr Transparenz. Um dies zu erreichen, wurden die Vorgaben für den Marktzutritt und die Bestimmungen für die Überwachung verschärft. Die Marktakteure werden enger in die Überwachung eingebunden und die Verantwortlichkeiten klarer definiert. Während bei Neuzertifizierungen lange Übergangsfristen definiert wurden, gelten die verschärften Bestimmungen bei der Überwachung seit dem Inkrafttreten der Regulierung. So wurden Vorgaben für die Meldung schwerwiegender Vorkommnisse verschärft. Dies führte zu einer Sensibilisierung der Wirtschaftsakteure und vermutlich auch zur Stärkung der Kompetenzen in diesem Bereich. Swissmedic erhielt 2021 über 6 000 Meldungen (+30 % vs. Vorjahr) zu schwerwiegenden Vorkommnissen. Medizinprodukte mit hohen Risiken (z. B. Implantate der Klasse III) müssen mit einem UDI-DI versehen werden und die Gesundheitseinrichtungen müssen die von ihnen eingesetzten Produkte registrieren, so dass bei Produkteproblemen die Rückverfolgbarkeit bis zum Patienten sichergestellt wird. Zudem müssen den Patienten Implantationsausweise abgegeben werden.
ZZS: Zahntechniker werden durch die Verarbeitung von importierten Produkten selbst zum Hersteller eines Medizinproduktes. Wie sieht die Haftung aus?
RA Matthias Stauffacher: Der Hersteller haftet für Produktemängel. Dies gilt auch für Zahntechniker, soweit ihre Tätigkeit als Herstellung qualifiziert – was im Einzelfall zu prüfen ist. Als Hersteller sind Zahntechniker für Schäden verantwortlich, die das von ihnen hergestellte Produkt verursacht hat. Die Verantwortung gilt unabhängig von einem persönlichen Verschulden oder der Verletzung einer Sorgfaltspflicht.
ZZS: Wann gilt ein Zahnarzt als Hersteller eines Medizinproduktes?
Dr. Delfosse: Wenn er ein bereits im Verkehr befindliches Produkt in einer Art und Weise abändert, die Auswirkungen auf die Konformität des Produkts mit den geltenden Anforderungen haben könnte (siehe MDR Art. 16c).
Swissmedic: Konkret bedeutet das, wenn ein Zahnarzt/Zahntechniker/Fachperson eine Sonderanfertigung selbst anfertigt, unterliegt er bestimmten Herstellerpflichten. Sofern ein Zahnarzt/Zahntechniker/Fachperson CE-gekennzeichnete Medizinprodukte (allgemein, d. h. einschliesslich Adaptable, sowie Patient-Matched Devices) einsetzt, muss er diese gemäss der Zweckbestimmung und Anweisungen des Herstellers verwenden. Die grundlegende Frage zur Übernahme von Herstellerpflichten bei der Verwendung CE-gekennzeichneter Medizinprodukte richtet sich somit nach der Definition des Herstellers gemäss Art. 4 Bst. f MepV i. V. m. Art. 16 Abs. 1 und 2 EU-MDR. Erfolgt durch den Fachanwender eine Anpassung oder Verwendung, die nicht im Rahmen der vom Hersteller vorgesehenen Zweckbestimmung und innerhalb der Anweisungen des Herstellers liegt, verletzt der Fachanwender Art. 16 Abs. 1 Bst. b) oder c) MDR und übernimmt dadurch die Pflichten eines Herstellers.
RA Dr. Christoph Willi: Ein Zahnarzt ist normalerweise kein Hersteller, sondern Anwender von Medizinprodukten. Unter bestimmten Umständen qualifiziert seine Tätigkeit aber als Herstellung, beispielsweise im Umgang mit Sonderanfertigungen. Sonderanfertigungen sind Medizinprodukte, die für eine bestimmte Patientin oder einen bestimmten Patienten hergestellt oder auch nur angepasst werden. Wenn der Zahnarzt beispielsweise eine Zahnkrone oder eine orthopädische Spange auf eine Patientin oder einen Patienten anpasst, dann kann er als Hersteller betrachtet werden. In welchen Fällen eine Sonderanfertigung vorliegt, ist aber umstritten. So kann im erwähnten Beispiel auch argumentiert werden, bei der Zahnspange handle es sich um ein anpassungsfähiges Medizinprodukt. In diesem Fall müsste der Hersteller der Spange ein Konformitätsbewertungsverfahren durchführen und der Zahnarzt würde die Spange dann nur noch individuell anpassen. In diesem Fall gilt der Zahnarzt nicht mehr als Hersteller. Als Hersteller haftet der Zahnarzt für Produktefehler. Unerheblich ist, ob der Produktefehler die Folge einer Sorgfaltsverletzung ist. Demgegenüber ist die Haftung für die ärztliche Tätigkeit des Zahnarztes auf Sorgfaltsfehler beschränkt. Der Zahnarzt kann deshalb den Entlastungsbeweis erbringen, dass ihn kein Verschulden trifft. Bei der Produktehaftung ist dies nicht möglich.
ZZS: Falls sich nun Zahnärzte und Zahntechniker ihre Medizin-Produkte im EU-Ausland beschaffen, welche gesetzlichen Vorgaben müssen beim direkten Einkauf ausserhalb der Schweiz aktuell beachtet werden?
Swissmedic: Falls der Zahnarzt als Fachperson ein Produkt aus dem Ausland – ohne es in Verkehr zu bringen – direkt anwendet, übernimmt er für die Konformität des Produkts die Verantwortung. Aus den bereits genannten Gründen sollten Fachpersonen und Gesundheitseinrichtungen in der Regel Produkte eines Schweizer Herstellers oder mit einem entsprechend verantwortlichen Schweizer Bevollmächtigten beschaffen und nur in begründeten Ausnahmefällen Produkte ohne Schweizer Bevollmächtigten aus dem Ausland direkt anwenden.
Dr. Delfosse: Die Medizinprodukteverordnung lässt es zu, dass Fachpersonen Produkte direkt aus dem Ausland zur Anwendung beschaffen können. Es ist wichtig zu beachten, dass die Fachpersonen und Gesundheitseinrichtungen im Falle der Direktbeschaffung automatisch die volle Funktionsverantwortung übernehmen. Das heisst: kein Schweizer Wirtschaftsakteur ist für formelle und sicherheitsrelevante Belange zuständig. Swiss Medtech empfiehlt deshalb, nur in Ausnahmesituationen auf die Direktbeschaffung zurückzugreifen.
RA Matthias Stauffacher: In Bezug auf den Direktimport ist zu unterscheiden, ob das Medizinprodukt direkt angewendet wird oder nicht. Wird das Medizinprodukt am Patienten oder in der Praxis berufsmässig angewendet, so dürfen Zahnärztinnen und Zahnärzte diese auch dann importieren, wenn kein Schweizer Bevollmächtigter vorhanden ist. Das von ihnen in die Schweiz eingeführte Produkt darf aber nicht an Dritte weiterverkauft werden. Diese Ausnahme hat der Bundesrat vorgesehen, um einem möglichen Versorgungsengpass in der Schweiz entgegenzuwirken. Zu beachten ist in diesem Fall, dass der Zahnarzt für die Konformität des Produktes selbst verantwortlich ist. Dies bedeutet, dass er prüfen muss, ob für das Produkt eine Konformitätserklärung und gegebenenfalls eine Konformitätsbescheinigung vorhanden ist. Diese müssen echt und gültig sein.
ZZS: Wie ist gross ist die Gefahr, dass Produkte vom Schweizer Markt verschwinden, weil die Importhürden zu hoch sind?
Dr. Delfosse: Die Gefahr besteht tatsächlich, weil nicht alle der 5000 ausländischen Hersteller bereit sind, einen Schweizer Bevollmächtigten zu benennen. Unsere Umfrage vom November 2021 hat ergeben, dass rund 10 % der importierten Medizinprodukte verschwinden werden, vor allem Produkte der Klassen I und II. Das stellt einen Warenwert von 600 Mio. CHF dar, der irgendwie substituiert werden muss.
Swissmedic: Der Bundesrat hat mit der einseitigen Anerkennung der EU-Bescheinigungen und langen Übergangsfristen Bestimmungen erlassen, um dieses Problem zu entschärfen. Ergänzend wurde durch ein weiteres Entgegenkommen bzgl. Angabe des Importeurs auf einem Begleitdokument die Hürden weiter gesenkt. Gemäss Rückmeldung von Swiss Medtech trägt dies massgeblich zur Gewährleistung der Versorgung bei.
RA Dr. Christoph Willi: Unseres Erachtens besteht dieses Risiko insbesondere bei Medizinprodukten mit einer tiefen Marge. Bei diesen Produkten steht der administrative Aufwand mit der Ernennung eines Bevollmächtigen oder der Neu-Etikettierung der Produkte in einem Missverhältnis zum Ertrag, welche der Hersteller bzw. der Lieferant damit erzielen kann. Branchenkenner gehen davon aus, dass je nach Produkt zusätzliche Kosten von bis zu CHF 10 000 pro Jahr und Produkt anfallen könnten. Es besteht somit das Risiko, dass margenarme Produkte nicht mehr erhältlich sind.
ZZS: Inwiefern besteht in den Praxen und Labors Handlungsbedarf?
Swissmedic: Alle Wirtschaftsakteure, also auch Praxen und Labore sollten sich mit den wichtigsten Änderungen betreffend der Beschaffung von Medizinprodukten vertraut machen. Sie müssen schwerwiegende Vorkommnisse Swissmedic melden und bei Bedarf mit den Behörden zusammenarbeiten.
RA Matthias Stauffacher: Angesichts der erheblichen Umstellungsschwierigkeiten ist ungewiss, welche Produkte in naher Zukunft auf dem Schweizer Markt überhaupt noch erhältlich sein werden. Wir empfehlen deshalb, frühzeitig mit den Lieferanten zu klären, welche Produkte von Sortimentskürzungen betroffen sind und allenfalls davon Vorräte anzulegen. Dies, um zu vermeiden, praktisch Übernacht mit einem Stock Out konfrontiert zu sein – so wie das auch in der Corona-Zeit für bestimmte Produkte der Fall war.
ZZS: Was bekommen die Patienten davon zu spüren?
RA Dr. Christoph Willi: Die MepV hat zum Ziel, die Sicherheit von Patientinnen und Patienten zu verbessern. Es wäre zu bedauern, wenn nun aufgrund der neuen Regulierung Produkte nicht mehr oder nur schwer erhältlich sind.
Swissmedic: Wir sind zurzeit im Aufbau der öffentlichen Swissmedic-Datenbank. Dort sind die Importeure, Bevollmächtigten und zu einem späteren Zeitpunkt auch Informationen zu den Medizinprodukten ersichtlich. Durch die Angabe des Schweizer Bevollmächtigen bei ausländischer Herstellung kennen Patienten den verantwortlichen Ansprechpartner im eigenen Land.
ZZS: Droht in naher Zukunft eine akute Unterversorgung mit Medizinprodukten?
Swissmedic: Wir haben derzeit keine Kenntnis einer entsprechenden Entwicklung. Da die Anzahl benannter Prüfstellen in der EU jedoch nach wie vor zu klein ist, kann es im ganzen europäischen Markt zu Versorgungsstörungen kommen, die sich auch auf die Schweiz auswirken.
RA Matthias Stauffacher: Wir gehen davon aus, dass dies nicht geschehen wird. Zahnärzte und Zahnärztinnen haben immer auch die Möglichkeit, Produkte aus dem Ausland zu beziehen, falls diese in der Schweiz nicht mehr erhältlich sind.
ZZS: Mit welchen Ängsten, Problemen und vor allem mit welchem Mehraufwand haben die Dentalhändler aktuell zu kämpfen?
Dr. Delfosse: Die grösste Angst ist die, vom ausländischen Hersteller nicht mehr beliefert zu werden. Dazu kommt der Mehraufwand, der sich auf ca. 2 % des Umsatzes beläuft. Dies bedeutet für die Schweizer Händler, die jährlich Medizinprodukte für knapp 6 Mrd. CHF importieren, einen Mehraufwand von 120 Mio. CHF.
RA Dr. Christoph Willi: In der gegenwärtigen Phase der Umstellung ist vor allem der Aufwand für das Labelling erheblich. Da die Beschriftungen aus der EU nicht übernommen werden können ist dies mit grossem Aufwand verbunden.
ZZS: Wie hoch ist das Risiko bei Zuwiderhandlung eine Strafe zu kassieren?
Swissmedic: Das Heilmittelgesetz kennt verschiedene Handlungsweisen, welche strafbewehrt sind. Es handelt sich um Offizialdelikte, die von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen verfolgt werden. Die Strafverfolgungskompetenzen liegen teilweise bei den Kantonen und teilweise bei uns. Swissmedic verfolgt Widerhandlungen gegen das Heilmittelrecht, soweit deren Vollzug in den Zuständigkeitsbereich von Swissmedic fällt. Dies ist beispielweise dann der Fall, wenn ein Zahnarzt Dentalmaterial (z. B. Keramiken) im Ausland einkauft, welche den Anforderungen des schweizerischen Heilmittelgesetzes nicht entspricht (z. B. fehlende CE-Kennzeichnung) und diese in Verkehr bringt, d. h. weiterverkauft. Eine Anwendung eines solchen nicht gesetzeskonformen Medizinproduktes am Patienten würde in die Strafverfolgungskompetenz der Kantone fallen.
RA Matthias Stauffacher: Unseres Erachtens geht es weniger um die Strafe als um den Reputationsschaden. Nicht zu unterschätzen ist zudem auch die persönliche Belastung durch ein Verfahren, selbst wenn es aus was für Gründen auch immer zu keiner Bestrafung kommen sollte. Wir kennen niemanden, der im Nachhinein gesagt hat, dass sich dieser Aufwand gelohnt hat.
ZZS: Wie sieht die Situation für die Schweizer Medizintechnik-Branche als Ganzes aus?
Dr. Delfosse: Durch die Rückstufung zum Drittstaat hat die Attraktivität der Schweiz als Medtech-Standort gelitten. Welches multinationale Unternehmen würde noch die Schweiz als EU-Hauptsitz wählen? Und jedes Schweizer Start-up-Unternehmen muss sich fragen, ob ein Standort im benachbarten EU-Raum nicht besser geeignet wäre für den Marktzugang zum EU-Binnenmarkt.
ZZS: Wir danken allen Gesprächspartnern für die fundierten Auskünfte.
Mit freundlicher Genehmigung der Zahnzeitung Schweiz: ZZS 05/2022 – Zahn Zeitung Schweiz & ZZS 05/2022 – Zahn Zeitung Schweiz
Kontakt:
Swissmedic
www.swissmedic.ch
Swiss Medtech
Dr. Daniel Delfosse
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Streichenberg Rechtsanwälte
Dr. Christoph Willi LL.M.
christoph.willi@streichenberg.ch
Matthias Stauffacher
matthias.stauffacher@streichenberg.ch